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22.09.2021 05:00 Uhr
Ein Großschweidnitzer wird in Zittau wegen einer erheblichen Straftat verurteilt – doch an diesem Richterspruch ergeben sich vor dem Landgericht Zweifel.
Bei einer Polizeikontrolle mit einem Moped einen Streifenwagen zu attackieren – das klingt nach einem verwegenen Plan, aber keinem klugen. Genau eine solche Episode brachte einen Großschweidnitzer jetzt in einem Berufungsverfahren wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr vor das Landgericht Görlitz. Aber war es denn wirklich so wie die Anklage dem Mann vorwarf? Am Ende hatte selbst die Staatsanwaltschaft erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vom Amtsgericht Zittau.
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Es ging um die Ereignisse eines Aprilabends im Jahr 2020. Damals war der 31-jährige Angeklagte aus Großschweidnitz mit dem Honda-Moped eines Freundes auf der Rumburger Straße in Löbau unterwegs. Dort wurde eine Polizeistreife auf ihn aufmerksam, weil er ohne Licht fuhr. Die Streifenbesatzung wendete und nahm die Verfolgung auf – laut eigener Darstellung mit Blaulicht und Martinshorn. Der Angeklagte gab an, lange überhaupt nicht mitbekommen zu haben, dass die Polizei ihn habe anhalten wollen. Am Stadionweg habe man schließlich zu ihm aufschließen können, der 31-Jährige habe sich aber geweigert, anzuhalten. Laut Anklage endete das Geschehen damit, dass der Streifenwagen schließlich vor das Moped gelangt sei und sich quergestellt habe. Daraufhin habe der fast schon stehende Mopedfahrer Gas gegeben und sei absichtlich gegen den Streifenwagen geprallt.
Zunächst war der Vorgang für den Angeklagten juristisch gar keine große Sache. Die Beamten hatten geargwöhnt, dass es sich bei dem Moped um eine 80-Kubikmaschine gehandelt habe. Eine solche aber dürfte der Großschweidnitzer mit seinem gewöhnlichen Pkw-Führerschein gar nicht fahren. Deshalb sei er sowohl ohne die nötige Fahrerlaubnis, als auch ohne den nötigen Versicherungsschutz unterwegs gewesen, weil an dem Moped nur ein Versicherungskennzeichen für Mopeds bis 50 Kubik angebracht war. Genau wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und eines Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz beantragte die Staatsanwaltschaft Görlitz beim Amtsgericht Zittau einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von etwas über 1.000 Euro. Von einer Anklage oder schweren Straftat war zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine Rede.
Der zuständige Amtsrichter in Zittau aber lehnte den Erlass des Strafbefehls ab – und verwies die Staatsanwaltschaft in diesem Fall auf die Strafvorschrift des Paragrafen 315b des Strafgesetzbuches (StGB), den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Und damit stand plötzlich eine erhebliche Straftat im Raum. Der Tatbestand des Paragrafen 315b StGB ist klassischerweise erfüllt, wenn jemand von außen in den Verkehr eingreift, indem er etwa Gegenstände von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn wirft.
Ein Fall ist aber auch, wenn jemand sein Fahrzeug regelrecht als Waffe benutzt, in der Absicht damit Schaden anzurichten. Dieser Fall ist etwa dann gegeben, wenn jemand absichtlich auf einen Polizeibeamten oder auf ein Polizeiauto zufährt, das ihn aufhalten will – um sich so freien Weg zu verschaffen. Und genau diesen Fall sah der Zittauer Amtsrichter dadurch erfüllt, weil der Angeklagte gegen das Polizeiauto gefahren war. Die Staatsanwaltschaft klagte auf Hinweis des Amtsrichters also dieses Delikt an. Und der Amtsrichter verurteilte den Mann im März 2021 dann tatsächlich wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie wegen der Führerschein- und Versicherungsgeschichte zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und einen mehrmonatigen Führerscheinentzug.
Alle Vorwürfe kompletter Unfug, das Urteil ein reines Fehlurteil – befanden dagegen der Angeklagte und sein Rechtsanwalt und gingen in Berufung. Und die Beweisaufnahme vor der höheren Instanz brachte tatsächlich schnell an den Tag, dass sie mit ihrer Auffassung durchaus richtig lagen. Dort nämlich behaupteten nicht einmal die beiden als Zeugen geladenen Streifenbeamten von damals, dass der Angeklagte mit Absicht gegen den Streifenwagen gefahren sei. „Irgendwie sind wir seitlich aneinandergeraten und der Angeklagte kam dann zu Fall“, schilderte etwa der Fahrer des Streifenwagens vor Gericht. Bei der Kollision habe der Streifenwagen auch nicht quer gestanden, sondern das Geschehen habe sich bei langsamer Fahrt beider Fahrzeuge zugetragen – also eine Schilderung, die für ein versehentliches Unfallgeschehen sprach. Auch stützte ein vom Gericht beauftragtes Gutachten, dass jenes Moped tatsächlich nur 50 Kubik hatte, völlig korrekt versichert war und vom Angeklagten auch gefahren werden durfte.
Der Verteidiger des Angeklagten erklärte in seinem Plädoyer, dass es komplett lebensfremd sei, dass jemand mit einem untermotorisierten Moped vor der Polizei fliehen wolle und dann noch seine Gesundheit riskiere, indem er absichtlich mit dem Polizeiwagen kollidiert.
Es gäbe keinerlei Hinweise darauf, dass der Mann sein Moped irgendwie habe nutzen wollen, jemanden zu schädigen. Und auch die Staatsanwältin führte aus, dass dieser Beweis nicht habe geführt werden können. Beide Seiten plädierten auf Freispruch – und so urteilte das Gericht dann auch und hob das Zittauer Urteil samt und sonders auf. „Das erstinstanzliche Urteil enthält auch gar keine Ausführungen dazu, dass der Angeklagte mit einer solchen Absicht gehandelt hätte“, monierte der Vorsitzende Richter. Was diverse Ordnungswidrigkeiten wie das Fahren ohne Licht damals betreffe, so seien diese verjährt. „Es bleibt nichts von den Vorwürfen übrig“, erklärte der Richter.
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